Das Leben in der Waschküche
Buch 7
Das Leben in der Waschküche
In der Nacht fand Wuschel keinen richtigen Unterschlupf mehr. Es war kalt draussen und die Leute hatten ihre Häuser und Fenster geschlossen. Als Notlösung legte er sich unter das Vordach eines leerstehenden Bauernhauses, aber trotzdem war es noch immer beissend kalt und unangenehm. Er musste sich am nächsten Tag eine bessere Bleibe suchen. Als die Sonne endlich aufgegangen war und ihre Bahn zog, marschierte er weiter. Er hielt sich von den Wohnhäusern fern und peilte einen der Bauernhöfe an. Meistens gab es in den Scheunen Tiere und Stroh. Da wollte er die nächste Nacht verbringen.
Seine Vermutung war goldrichtig. Im Stall standen einige Kühe, die gerade Futter bekommen hatten. Sie kauten noch immer friedlich vor sich hin. Der Speichel tropfte ihnen aus dem Maul. Manchmal drückten sie ihren Kopf an einen grossen Knopf, sodass das Wasser in die Trinkschale lief und sie ihren Durst stillen konnten. Manche der Tiere hatten Nachwuchs. Die Kleinen durften noch bei der Mutter sein und Milch trinken. Wie schön es war, eine Familie zu haben. Einmal mehr überkamen ihn die schlechten Gedanken und er wurde traurig. „Ach Kiki, wieso war es nur so weit gekommen?“
Im oberen Bereich des Stalles gab es tatsächlich eine Menge Stroh. Er sprang die kleine Holztreppe hoch. Dann legte er sich auf einen Strohballen und schlief ein. Kein Mensch hatte ihn gesehen, und die Kühe interessierten sich sowieso nicht für den kleinen pelzigen Kerl.
Früh am Morgen wurde er durch das Muhen unter ihm wach. Der Bauer war früh aufgestanden, um die Tiere zu versorgen. Er füllte die Futterschalen auf und öffnete die Stalltüre. Dann trieb er das Vieh hinaus. Die Kühe durften den Tag auf der nahegelegenen Weide verbringen, wo es noch frisches Gras gab.
Danach säuberte er den Stall und legte neues Stroh aus. Es war ein grosser Freilaufstall, sodass er noch mehr Material brauchte. Mit der Heugabel griff er gekonnt nach oben. Fast hätte er Wuschel, der ihm von oben aus zuschaute, mit der Spitze getroffen. Er konnte gerade noch zur Seite springen. Mit der Heugabel zerrte der Bauer den Strohballen hinunter und verteilte das Material. Am Abend, wenn die Kühe von der Weide zurückkamen, sollten sie ein sauberes Nachtquartier antreffen.
Zwei Kälber standen separat in einem Gatter. Sie waren noch ganz jung und wurden mit Milch gefüttert. Dafür wurde frische Milch in einen Kessel gefüllt, an dem ein Gumminuckel befestigt war. So konnten sie trinken, ähnlich wie bei der Mutter. Wuschel sah, wie ein Teil der Milch auf den Boden tropfte. „Lecker“, dachte er. Als der Bauer wegging, rannte er zu den Kälbern. Er leckte alles auf, was die beiden Jungtiere auf den Boden fallen gelassen hatten. „Mh, Milch.“ Das hatte er schon lange nicht mehr getrunken.




Die wilden Katzen durften sich zwar beim Landwirt im Stall aufhalten, doch gefüttert wurden sie dort nicht. Er wollte, dass sie Mäuse fingen und nicht mit vollem Bauch faul rumlagen. Als Wildkatzen waren sie gute Jäger. Das hatten sie von klein auf gelernt. Bald gab es keine Mäuse mehr im Kuhstall und sie hatten nichts mehr zu fressen. Sie schauten sich deshalb in der Nachbarschaft um und entdeckten zwei Katzen, die anscheinend in Saus und Braus leben durften. Sie hatten eine eigene Familie, wo sie geliebt, gestreichelt und auch gefüttert wurden. Eine davon war Mira, eine stolze Tigerkatze mit schneeweissem Bauch. Sie bewunderten sie. Sie war immer so sauber, obwohl sie einen weissen Bauch hatte. Ihr Fell war so weich und stets tadellos gepflegt. Zudem war sie extrem lieb und gastfreundlich. Manchmal durften sie zu ihr in die Waschküche. Mira liess sie einfach rein, obwohl sie doch Fremde waren. Dort standen Schalen mit wohlriechendem Futter. Sie durften sich die Bäuche voll schlagen. Lange blieben sie unentdeckt. Die Herrin des Hauses, Nela, wunderte sich zwar über den immensen Hunger ihrer beiden Stubentiger. Die Töpfe waren immer leer, obwohl sie genug Futter hinstellte. Sie konnte auch nicht erkennen, dass ihre Katzen übergewichtig wurden, obwohl das Futter stets weg war. Doch grosse Gedanken machte sie sich erst nicht. Wenn der Napf leer war, wurde er wieder gefüllt.

Natürlich wusste sie von den Katzen der benachbarten Bauernhöfe. Viele von ihnen waren Wildkatzen und langhaarig. Wahrscheinlich war auch Luna eine von ihnen. Sie wusste, dass Wildkatzen ihr Revier verliessen, wenn sie ausgewachsen waren. Für die Katzen war das gut, denn sie kannte auch die Einstellung der Landwirte. Ja zu Katzen, nein zur Verantwortung und Fütterung. Die wilden Katzen hatten kein einfaches Leben. Sie mussten sich selber durchschlagen. Viele von ihnen wurden schon als Jungtier trächtig. Dann hatten sie die grösste Mühe, ihren Nachwuchs durchzukriegen. Zudem mussten sie sich vor dem Bauern in Acht nehmen. Wenn er die Babies entdeckte, war das ihr Todesurteil. Er wollte nicht noch mehr Katzen und brachte die Kleinen einfach um.
Nela schmunzelte und schaute zu Mira hinunter, die sich keiner Schuld bewusst war. Stattdessen drückte sie sich dicht an Nelas Beine, als wolle sie sagen „Komm, hilf denen da draussen. Die haben es verdient.“
Also standen am nächsten Tag noch zwei weitere Körbe im Schuppen. Auch gab es dort neu einen Futternapf und eine grosse Schale Wasser. Luna und Rocky nahmen das Geschenk gerne an. Sie lagen tagsüber im Schuppen und machten nachts die Gegend unsicher. Nela wollte den Tieren helfen. Sie hätte sie gerne auch einmal entwurmt und gegen Parasiten behandelt. Doch dafür musste sie das Vertrauen gewinnen. Die beiden waren extrem ängstlich. Für eine Behandlung musste sie sie aber berühren können. Es dauerte Wochen, bis es endlich so weit war. Luna und Rocky rochen an ihrer Hand. Wenn sie diese aber weiter nach vorne streckte, wichen sie zurück. Sie versuchte es immer wieder, jeden Tag. Sie sprach mit ihnen, legte ihnen Leckereien vor die Füsse. Sie brauchte viel Zeit und Geduld. Der Tag kam, an dem die Furcht der beiden Katzen so gering wurde, dass sie sich streicheln liessen. Ihr Fell war recht struppig, im Vergleich zu Miras Haar. Dennoch war es ein gutes Gefühl, wenn Nelas Hand durch den Pelz glitt. Sie hörte ein leises Schnurren und wusste, dass der Bann endlich gebrochen war. Ein paar Tage später konnte sie ihnen sogar ein Mittel gegen Parasiten auf das Genick träufeln und ihnen eine Wurmkur verabreichen. Aus den struppigen Wildkatzen wurden langsam Katzen mit seidenem Fell. Sie würden nie Schmusetiere werden und nie dem Besitzer auf den Schoss springen, doch immerhin hatten sie gelernt, dass nicht alle Menschen böse waren.
Es war höchste Zeit, Luna kastrieren zu lassen. Sie war nun schon etwa zehn Monate alt. Gott sei Dank war jetzt der Winter eingezogen und die Katzen wurden nicht rollig. Doch wenn der Frühling kam, ging es blitzschnell. Sie wollte vermeiden, dass Luna Nachwuchs bekam. Sie wusste, dass sie dann wieder scheuer wurde und vielleicht mit ihren Kindern verschwinden würde. Bei wilden Katzen weiss man nie, was sie im Schilde führen. Eines Tages mischte sie Luna ein Beruhigungsmittel unters Fressen. Nun konnte sie das Tier zum Tierarzt bringen. Auch Rocky verlor am gleichen Tag seine Zeugungsfähigkeit. Beide Tiere wurden kastriert. Sie überstanden alles wunderbar. Als sie aufwachten, waren sie noch etwas schwach. Doch eigentlich wussten sie gar nicht recht, was mit ihnen passiert war. Nela war froh, diese Entscheidung getroffen zu haben. Sie war bereit, für die Tiere zu sorgen, doch Katzenbabies wollte sie nicht. Es gab genügend Katzen in ihrer Umgebung, die es schwer hatten. Es war viel Geld, das sie beim Tierarzt bezahlen musste, doch die Tierliebe war grösser als der Gedanke ans Sparen.



Doch Rocky hatte noch Mühe damit. Er schaute zwar den anderen Katzen zu, wie sie durch die Schwingtüre hindurch glitten, doch fand er den Mut nicht, es ihnen nachzumachen. Es brauchte seine Zeit, bis er die Angst vor der Schwingtüre verlor. Er sass fast eine Stunde davor und schaute hinein. Drinnen sah er die anderen Katzen, die ihre Mäuler in die Schalen streckten. „Ich habe Hunger, wenn ich nur kein solcher Angsthase wäre!“ Als sein Magen schon wieder knurrte, überwand er seine Angst. Mit der Pfote versuchte er, das Türchen zu öffnen. Das ging zwar etwas schwer, da ein Magnet verhinderte, dass die Türe bei jedem Windstoss aufflog. Er versuchte es noch einmal. Als es zurückschnellte, rannte er davon. Doch es dauerte nicht lange und er wagte einen neuen Versuch. Dieses Mal streckte er nebst der Pfote auch den Kopf durch die Schwingtüre. Von drinnen drang Wärme an seinen Körper. Wie herrlich, wie warm! Vom anderen Ende des Raumes drang Futtergeruch in seine Nase. Nun vergass er, dass das Türchen über seinen Körper streifte und hinter ihm mit einem Klack schloss. Mira und Luna schauten ihm zu. „Mensch, das hatte aber gedauert.“ Er spürte, wie sich sein Körper aufwärmte. Draussen war es bitterkalt. Noch so gerne legte er sich nach der ersten Mahlzeit im Waschhaus in einen von Nelas Körben.
Ab diesem Tag wurde es für die Tiere einfacher. Sie mussten nicht mehr frieren und sich den Wind durchs Fell fegen lassen. Sie verbrachten die kalten Winternächte im Waschhaus. Am Tag, wenn die Sonne schien, war die Temperatur draussen erträglich. Dann gingen sie oft raus, machten ihre Streifzüge durch die Umgebung. So tat es auch Wuschel. Er hielt sich vorerst versteckt, wenn er Nela hörte oder ging hinaus. Sie wusste noch nichts von seiner Anwesenheit, sie waren sich bis jetzt noch nicht begegnet. Er traute ihr nicht so richtig über den Weg, auch wenn er sich bewusst war, dass sie eine grosse Katzenfreundin war. Das Schlimmste was ihm hätte passieren können, dass sie ihn raus warf, raus in den bitterkalten Winter, raus in ein Leben ohne Fressen und ohne Mitbewohner. Nein, auf keinen Fall. Er hatte sich mit den anderen Miezen angefreundet und war glücklich, eine neue Familie gefunden zu haben.
Lange war es her, seit er seinem Zuhause den Rücken gekehrt hatte. Oft bereute er es, hatte Heimweh. Seine Gedanken schweiften zurück an seine Mami und seine Geschwister.

