Die Schwarze
Buch 5
Die Schwarze
Früher wurden schwarze Katzen gejagt, denn man glaubte, sie verkörperten den Satan. Viele von ihnen mussten einen schmerzvollen, tragischen Tod erleiden, obwohl sie absolut unschuldig und keineswegs ein Satanswerk waren.
Gott sei Dank hat sich diese Einstellung in den letzten Jahren geändert und schwarze Katzen werden lediglich noch als Voraussage für Unheil angesehen, wenn sie uns am Freitag, den 13., über die Strasse laufen.


Für die meisten Menschen ist schwarz einfach schwarz, nicht jedoch für denjenigen, der sich mit dieser Farbgebung irgendwann auseinandergesetzt hat. Er kann genau unterscheiden, ob es sich hier um hellschwarz, dunkelschwarz oder sogar sehr dunkelbraun handelt. Wer schwarz liebt, liebt auch das glänzende Fell einer Schwarzen. Ihr Glanz übertrifft alles, was man von anderen Fellfarben kennt. Und wer dem Bann der Schwarzen verfallen ist, kommt nie mehr davon los.
Blacky war eine solche Schwarze, eine absolut Pechschwarze. Bei ihr konnte man lange suchen, sie hatte nicht ein einziges helles Haar. Auch wenn sie in der Sonne lag, gab es keine helleren Schattierungen. Sie war einfach schwarz. Dies war auch nicht erstaunlich, denn sie war eine Langhaarkatze, die aus einer Norweger-Zucht stammte. Als sie zwei Jahre alt wurde, war sie schöner als alle anderen Katzen in der Nachbarschaft. Und sie hatte anscheinend das grosse Los gezogen. Während ihre Geschwister ein tristes Leben in der Wohnung fristen mussten, durfte sie raus in die freie Natur. Sie wohnte bei einem älteren Ehepaar im Erdgeschoss. Vor dieser Wohnung lag ein grosser Garten mit vielen Bäumen und Sträuchern. Es gab überall Klettermöglichkeiten. Die nächste Strasse führte viel weiter entfernt in die nächste Ortschaft. Für Blacky war das hier ein Paradies. Sie verbrachte viel Zeit im grossen Garten oder auf dem benachbarten Bauernhof. Hier gab es Mäuse und Eidechsen. Hier konnte Blacky springen, jagen und das Leben geniessen. Wenn es draussen heiss war, legte sie sich unter einen Busch in den Schatten und war einfach nur glücklich.
Sie war eine sehr sanftmütige Katze und liebte es, nachts auf dem Sofa neben ihrem Frauchen zu liegen. Wenn ihre Katzenmutter ihr mit der Bürste durchs Fell strich, schnurrte sie selig vor sich hin.
Trotzdem gingen ihr die Nachbarskatzen aus dem Weg. Mit ihrem langen Fell war sie eine imposante Erscheinung. Sie sah aus, als brächte sie acht Kilos auf die Waage. Doch in Wirklichkeit war sie eine sehr zierliche Langhharkatze. Ihr langes Haarkleid überdeckte ihren eher dünnen Körper. Blacky war es recht, dass man sie in Ruhe liess. Sie wollte weder den Garten noch ihr Frauchen mit den Nachbarskatzen teilen.
Viele Jahre lebte sie friedlich und verwöhnt bei diesem älteren Ehepaar. Doch eines Tages merkte Blacky, dass mit ihrer Katzenmutter etwas nicht stimmte. Sie war alt und vergesslich geworden. Sie sass stundenlang auf dem Sofa und hörte Musik. Nur noch selten ging sie aus dem Haus. Blacky musste jeden Tag um ihr Fressen betteln, denn Elisabeth hatte wieder einmal vergessen, dass bereits wieder ein Tag vergangen war und Blacky Hunger hatte. Auch blieb die liebgewordene Bürste in der Schublade liegen und Blackys Fell wurde nur noch selten gepflegt. Für die Langhaarkatze war das schlimm, denn mit der kleinen rosa Zunge konnte sie ihr Haar nicht ausreichend pflegen. Sie war auf die Hilfe des Menschen angewiesen. Sie putzte sich zwar den ganzen Tag, doch bei dieser Haarpracht genügte das nicht. Sie musste machtlos mit ansehen, wie sich ihr Haarkleid jeden Tag etwas mehr verknotete. Und diese Haarknoten waren sehr unangenehm, denn sie zwickten und verursachten ein schmerzvolles Ziehen an den betroffenen Hautstellen. Und dieses Ziehen spürte sie Tag und Nacht. Mit jedem Schritt, den sie machte, zog es an den Beinen oder am Bauch. Blacky wurde immer träger, denn das Laufen und Springen machte ihr keinen Spass mehr.

Als es mit Elisabeth abwärts ging, musste Blacky umziehen. Man brachte sie in eine Katzenauffangstation. Dort sollte man ihr ein neues Zuhause suchen. Obwohl die Betreuerinnen dort geübte Tierpflegerinnen waren, konnten sie sich keinen Reim darauf machen, weshalb Blacky derart aggressiv war. Sie schnitten zwar die vielen verknoteten Stellen aus ihrem Fell, doch änderte sich nichts daran, dass Blacky jeden anfauchte, der ihr zu nahe kam. Manchmal hatten sie den Eindruck, es würde besser mit der Schwarzen, denn sie sass oft stundenlang unbewegt und friedlich auf ihrem Hochsitz und beobachtete die anderen Katzen, die miteinander spielten. Doch kaum sprang sie hinunter zum Fressnapf, änderte sich ihre Laune. Nun durfte ihr niemand zu nahe kommen, denn sie hatte ihre Krallen stets ausgefahren und war angriffsbereit.
Trotzdem fand man eines Tages eine alleinstehende Frau, die Blacky aufnahm. Sie wusste von Blackys Vergangenheit und war gewillt, dem Tier sehr viel Streicheleinheiten und Fürsorge zu geben. Blacky zog erneut um. Diana lebte in einer Wohnung mit einem offenen Treppenhaus. So konnte Blacky auch hier in den Garten hinunter. Diana beobachtete das angeschlagene Tier besonders gut. Sie wollte herausfinden, wo Blackys Problem lag. Die Schwarze war ja noch keine zehn Jahre alt. Es konnte doch nicht sein, dass sie irgend ein Leiden hatte, das man nicht erkannt hatte. Manchmal hatte Diana den Eindruck, alles sei tadellos und Blacky sei auf dem besten Weg, eine brave Hauskatze zu werden. Doch dann, aus heiterem Himmel, schlug sie mit ihren Pranken zu. Diana war überzeugt, dass Blacky sie liebte. Trotzdem musste sie damit leben, immer wieder von der Schwarzen angeknurrt oder sogar gekratzt zu werden. Aber sie wollte nicht aufgeben. Blacky war ein derart schönes Tier, dass sie einen Weg finden musste, um aus der Wilden wieder eine Zahme zu machen. Sie las zahlreiche Bücher und forschte in Internetforen nach, ob auch andere Katzenhalter von solchen Attacken heimgesucht wurden.
Sie gab der schönen Blacky eine letzte Frist. Wenn sie in den nächsten sechs Monaten nicht zahm würde, müsste sie zurück ins Tierheim. Diana hoffte so sehr, dass sich Blackys Attacken abschwächen würden. Doch musste sie eines Tages einsehen, dass sie den Kampf verloren hatte. Blacky wurde zurück ins Tierheim gebracht. Diana konnte nicht mehr. Sie übergab die Schwarze in die professionellen Hände der Tierschützer. Sie war sehr traurig, denn sie hätte der schönen Blacky so gerne geholfen. Doch sie konnte nicht mehr. Ihre Hände waren derart zerkratzt, dass sie diese niemandem mehr zu zeigen wagte. Auch bei der Arbeit schaute man sie nur kopfschüttelnd an. Wie gross musste doch Tierliebe sein, dass man sich derart verunstalten liess.
Auch im Tierheim besserte sich Blackys Verhalten nicht. Nein, es wurde noch schlimmer. Jetzt musste Blacky auch immer auf der Hut sein und ihren Platz vor anderen Katzen verteidigen. Die Pflegerinnen wussten keinen Rat mehr. Auch war es ihnen nicht mehr möglich, die Katze zu pflegen und zu bürsten.


Als Blacky aus der Narkose aufwachte, war ihr kalt. Wo waren ihre Haare geblieben? Sie schaute an sich herunter - igitt! Sie fand sich schrecklich. Immerhin hatte man ihr eine rote Lampe über das Bettchen gehängt. Unter dieser Lampe war es warm und kuschelig. Sie versuchte aufzustehen. Wie immer, wollte sie sich dabei so wenig als möglich bewegen. Doch sie war noch immer sehr wacklig auf den Beinen, sodass es sie von links nach rechts torkelte. Und - obwohl sie umher wackelte - bimmelte nichts mehr. Wo war der ekelhafte Ton abgeblieben? Ihre Ohren hörten kein Klingeln mehr. Von weit weg hörte sie das laute Bellen aus der Hundestation. Sie fühlte sich nackt, jedoch frei.
Blacky durfte in den nächsten Wochen drinnen bleiben. Bevor das Fell nicht nachgewachsen war, musste sie in der warmen Stube bleiben. Nach einiger Zeit wurde die Wärmelampe überflüssig. Allmählich wuchsen die ersten Haarbüschel nach. Trotzdem dauerte es ein paar Monate, bis Blacky wieder volles, langes und wunderschönes Haar hatte. Sie wurde täglich gebürstet. Jetzt wollte man von Anfang an dafür sorgen, dass es keine Haarknoten mehr gab. Blacky erinnerte sich daran, wie schön es bei Elisabeth gewesen war, als sie von ihr noch gebürstet worden war. Sie verhielt sich still und liess es gerne über sich ergehen, wenn ihr die Pflegerinnen das lange Haar striegelten. Nach einem halben Jahr war Blacky die schönste Katze dieser Welt. Ihre Aggressionen waren verschwunden und ihr sanftmütiger Charakter kam wieder zum Vorschein. Nun war es ein Leichtes, die schöne Schwarze zu vermitteln. Sie durfte in eine Familie umziehen, wo sie Freigang hatte. Die Auflage des Tierheimes war klar und deutlich und wurde im Schutzvertrag so vermerkt: "Kein Halsband, kein Glöckchen und tägliches Bürsten". Endlich war die Schwarze ihren ständig klingelnden Verfolger los. Nun durfte sie wieder frei und glücklich sein. Ihre Krallen blieben eingerollt. Diese benutzte sie nur noch, wenn sie einer Maus nachrannte. Ansonsten war sie wieder eine Schmusekatze geworden, die der Familie grosse Freude bereitete. Ein kleines Glöckchen hatte derart viel Leid verursacht. Wer sein Tier liebt, verzichtet auf das Glöckchen.