Liliana vom Feenwald
Buch 6

Wenn die Katzen sich erholten, gingen die Kater auf die Jagd. Die Felder, die sie unterwegs antrafen, waren zum Teil fast leer gejagt. Manchmal kamen sie ohne Beute nach Hause und ernteten dafür traurige Blicke. Lillifee tat ihnen besonders leid. Sie stand kurz vor der Geburt und trug einen mächtigen Bauch. Ihr fiel das Gehen wahnsinnig schwer und sie wäre am liebsten irgendwo geblieben. Doch sie wollte die Gruppe nicht aufhalten, wollte sich ihre Schwäche auch nicht anmerken lassen.
Dann kam der Tag, an dem Lillifee ihre Babies bekommen sollte. Sie war schon am Vortag äusserst unruhig gewesen und Shumba war ein erfahrener Kater. Er kannte die Vorzeichen und wusste, dass die Reise für Lillifee nun zu Ende war. Manchmal musste er lächeln, wenn er sie sah. "Lillifee", ein eigenartiger Name. Dabei war dies nur die Abkürzung ihres edlen Namens "Lilliana vom Feenwald". Niemand würde sie so nennen, weshalb man ihr schlicht und einfach Lillifee sagte.
Sie war rotblond mit leichter Tigerzeichnung, eine Britisch-Kurzhaarkatze. "Rot und weiblich, das geht gar nicht", sagen erfahrene Katzenhalter. Doch Lillifee machte hier eine Ausnahme. Nur wenige Katzen, die rot sind, sind weiblich. Für die Zucht sind solch genetische Ausnahmen wunderbar. Wenn man sie mit einem ebenfalls roten Kater verpaart, kann man seltene rote Kätzinnen bekommen. Doch Lillifee war dies alles vollkommen egal. Sie hatte sich damals dem Roten verweigert und sich stattdessen von Aramis verwöhnen lassen. Doch die Liebesnacht war schon lange her. Jetzt wusste sie nur, dass mit ihr etwas nicht stimmte. Sie war das erste Mal trächtig und konnte sich keinen Reim machen, was im Moment mit ihr passierte. Sie wusste nur eines - sie konnte nicht mehr weiterlaufen.



frass sie alles auf, was von der Geburt übrig geblieben war. Kein Fuchs, kein Hund und auch kein Mensch sollten entdecken, dass hier neugeborene Kätzchen wohnten. Nun war sie vollkommen erledigt. Sie hatte fünf Kätzchen geboren, die sich jetzt schon an ihre Mama schmiegten. Mit ihrer Pfote und der Nase hatte sie ihnen gezeigt, wo die Milchquelle sitzt. Nun nuggelten sie bereits an Lillifee, die müde und abgeschlagen war. Am liebsten hätte sie nun geschlafen, doch das war zu gefährlich. Sie hatte nun die Verantwortung für sich und ihre Jungen, keine leichte Aufgabe für eine wildlebende Katzenmutter. Auch wenn sie ihre Freunde in der Nähe wusste, hatte sie trotzdem Angst davor, was ihr die Zukunft bringen würde. Tief im Herzen wusste sie genau, dass sie sich von den Anderen verabschieden musste, denn sie konnten Lillifee und ihre Babies nicht mitnehmen. Die kleine Familie würde noch viele Wochen brauchen, bis sie wieder reiseklar war und konnte nicht damit rechnen, dass die anderen Katzen auf sie warten würden.
Auch wenn die anderen Katzen ihre Angst belächelten, wussten sie auch, dass Lillifee nicht mitkommen konnte. Sie wollten nach Hause und mussten schon nach wenigen Tagen einsehen, dass sie ihre Freundin zurücklassen mussten. Lillifee hatte in den letzten Wochen gelernt, wie man Mäuse fängt und war eine geschickte Jägerin geworden. Hinter der Gartenlaube gab es einen Komposthaufen, in dem viele Graupelzchen wohnten. Es gab also genügend Futter für die junge Mutter und ihre Kinder. Auch Wasser konnte sie finden, denn nur wenige Meter entfernt plätscherte ein kleines Bächlein. Trotzdem würde es nicht leicht werden für die schöne Rote, die bisher immer nur verwöhnt worden war.
Besonders Aramis war unglücklich, dass sie Lillifee hier lassen mussten. Er war der Vater der Kleinen und mächtig stolz. Wie gern wäre er doch hier geblieben und hätte miterlebt, wie seine Kinder gross wurden. Seitdem ihm Lillifee fünf Babies geschenkt hatte, trug er seinen Schwanz noch etwas höher. Er ging so oft es ging in die Gartenlaube, um seinen Kindern einen Besuch abzustatten. Wie schön sie doch waren, und drei davon rot! Er lag oft bei Lilliffee und ihren Kindern und konnte sich nicht satt sehen. Er leckte sie von oben bis unten ab und war stolz wie ein Pfau. Dabei wusste er genau, dass sein Vaterglück nur von kurzer Dauer war. Er musste mit den anderen Katzen weiterziehen, konnte die Katzendamen auf ihrem Heimweg nicht alleine lassen. Er war ein grosser, starker Kerl, der sie beschützen würde. Da war er endlich Vater geworden, nun musste er seine Familie schon nach kurzer Zeit wieder verlassen. Das machte ihn sehr traurig.
Sie wollten eigentlich so schnell als möglich weiterziehen. Trotzdem schoben sie ihren Entschluss Tag für Tag hinaus. Sie brachten es nicht übers Herz, Lillifee die Wahrheit und Lebewohl zu sagen. Diese Entscheidung nahm ihnen Helen ab. Sie wohnte hier und wusste genau, dass ihr Garten mehr als ungepflegt war. Jetzt, wo der Frühling gekommen war, musste sie endlich etwas gegen das Unkraut unternehmen, bevor der Garten vollkommen zugewachsen war. An einem schönen Frühlingstag gab sie sich einen Ruck. Jetzt würde der Garten auf Vordermann gebracht. Sie zog ihre Gartenstiefel an und war voller Tatendrang. Sie hatte sich einen Plan gemacht, was sie alles erledigen wollte. Das Ziel war, den Garten innert vierzehn Tagen wieder bepflanzbar zu machen.
Die Katzen sahen wie sie die Tür der Gartenlaube öffnete. Sie wollte sich einen Spaten aus der Laube holen, denn der Boden musste noch umgegraben werden. Sie öffnete die Türe und blieb wie angewurzelt stehen, bocksteif und blass im Gesicht. Vor ihr sass Lillifee mit aufgestellten Haaren und fauchte sie furchterregend an. Ihr Schwanz war doppelt so dick wie normal, die Nackenhaare hoch aufgerichtet auf ihrem Katzenbuckel. Ihre Ohren waren dicht an den Kopf angelegt. Helen war für einen Moment verwirrt. So etwas hatte sie nicht erwartet, schon gar nicht einen Gast in ihrer Laube. Ob dieses Tier gefährlich war, konnte sie nicht beurteilen. Fest stand allerdings, dass es sich um ein Muttertier handelte, das seine Kinder beschützte. Sie sah im Hintergrund die roten Katzenbabies, die auf einer Wolldecke lagen. In solchen Situationen gibt es nichts zu spassen. Der Mutterinstinkt ist derart gross, dass auch die sanfteste Katze angreifen würde, wenn man ihren Babies etwas tun würde.
Doch Helen dachte nicht daran, den Babies Schaden zuzufügen. Sie war nur verwirrt und wusste zuerst gar nicht, was sie tun sollte. Wenn sie jetzt wegginge, würde die Katze ihre Jungen in Sicherheit bringen und wegtragen. Sie wollte das nicht, denn das Tier hatte sich ihr Gartenhaus nicht einfach so ausgesucht. Sie hatte wahrscheinlich kein Zuhause, sonst hätte sie ihre Babies ja daheim zur Welt bringen können. Dann kam sie auf eine gute Idee. Sie rief ihren Mann an. Er solle doch bitte zur Laube kommen, aber langsam und leise. Er war äusserst erstaunt, als er Helens Stimme hörte. Sie wollte doch im Garten vor dem Haus arbeiten und nun rief sie ihn übers Handy an. Wieso war sie nicht einfach die paar Schritte nach Hause gelaufen? Trotzdem lag etwas in ihrer Stimme, das ihn aufhorchen liess. Etwas Eigenartiges war vorgefallen. Er schaute durchs Fenster in den Garten und sah seine Frau, die wie eine Statue in der Tür der Laube stand. "Komisch", dachte er und verliess das Haus. Langsam näherte er sich Helen, die noch immer unbewegt da stand. Dann sah er die junge Familie und Lillifee, die fauchend vor Helen stand. Es gab nicht viel zu überlegen. Dieser Familie mussten sie helfen. Markus holte etwas Wurst und Milch aus dem Eisschrank und streckte das leckere Mahl Lillifee hin. Nun war das Staunen an der Katzenmutter. Sie dachte nämlich, dass diese Menschen ihr und ihren Babies schaden wollten. Stattdessen erhielt sie nun etwas zu fressen. Sie nahm den Happen dankend an und genoss jeden Bissen. Dies würde ihr Kraft geben, denn die fünf Babies zehrten schon jetzt an ihren Reserven. Sie waren immer durstig und hielten sie Tag und Nacht auf Trab. Sie hatte in den letzten Tagen kaum Zeit zum Jagen gefunden. Hätte sie nicht ab und zu mal von ihren Freunden eine Maus bekommen, wäre ihr Magen leer geblieben.


Lillifees Freunde blieben noch ein paar Tage. Sie wollten sicher sein, dass es ihrer Freundin bei Helen und Markus gut geht. Lillifee stand eines Tages vor der Gartenlaube und rief nach ihnen. Dies war der Tag des Abschieds. Sie erzählte ihren Freunden, dass es ihr gut ging und dass es nun an der Zeit war, dass sie weiter zogen. Helen und Markus waren sehr lieb zu ihr und ihren Kindern. Es fehlte ihr an nichts. Sie sollten nun weiterziehen, den Weg heimwärts antreten. Sie leckten Lillifee der Reihe nach über die Ohren und flüsterten ihr ins Ohr; "Mach es gut, kleine rote Freundin, wir haben dich sehr, sehr lieb". Helen stand am Fenster und beobachtete das eigenartige Treiben im Garten. Sie konnte sich nicht erklären, woher all diese Katzen kamen. Sie hatte sie bisher noch nie gesehen. Und alle leckten ihrer Lillifee über die Ohren. Was hatte das wohl zu bedeuten? Sie sollte erst Monate später erfahren, was es mit diesem Abschied auf sich hatte.
Lillifee kehrte nach einer Stunde zurück in ihr neues Heim. Sie sass noch lange auf der Fensterbank und schaute in die dunkle Nacht. "Jetzt, wo es dunkel ist, sind sie wieder unterwegs", dachte sie. Dann legte sie sich ins weiche Kissen zu ihren Babies. Die Welt war wieder in Ordnung.