Manolo und Aramis
Buch 7
Monolo und Aramis

Sie war schon längere Zeit mit einer Frau befreundet, die Heilige Birmas züchtete. Mit ihr ging sie eines Tages an eine Katzenausstellung. Sie sah die prachtvollen Tiere, die zur Schau gestellt und prämiert wurden. Im Grunde genommen konnte sie nicht viel anfangen mit Zuchttieren. Ihre Lieblinge waren die Hauskatzen, die es in allen Farbvariationen gab. Natürlich handelte es sich bei den ausgestellten Tieren um sehr edle und wertvolle Exemplare, doch ihr waren die kunterbunten vom Bauernhof lieber. Sie schlenderte durch die Ausstellung und schaute sich die edlen Geschöpfe an, die in den geschmückten, zum Teil sogar sehr kitschigen Ausstellungsgehegen sassen. Die Besitzer waren sehr stolz auf ihre Katzen und erklärten Tina noch so gerne die Vorzüge dieser wunderschönen Tiere, natürlich immer in der Hoffnung, dass sie irgendwann ein solches Exemplar kaufen würde. Wenn sie zur Wertung gerufen wurden, mussten sich die meisten Edelkatzen einer Prozedur unterziehen, die Tina lächerlich fand. Man kämmte ihnen nochmals schnell den Pelz durch, besprühte sie mit Haarlack und ordnete die Pelzpracht so, dass kein Härchen in die falsche Richtung schaute. Dann brachte man sie zum Richter. Dort wurden sie hochgehoben und überall gedrückt und angefasst. Die Juroren begutachteten sie von allen Seiten. Immer wieder hob man sie hoch, zog ihren Körper und Schwanz in die Länge, strich ihnen auch mit der Hand gegen den Strich durchs Fell; einfach widerlich für die Tiere. Es musste alles genauso sein, wie die Rasse es verlangte. Während Abessinier-Katzen klein und zierlich sein mussten, konnten andere, wie beispielsweise die Kartäuser-Katze, riesengross und wuchtig sein. Unglaublich, wie viele verschiedene Katzenrassen es gab und gezüchtet wurden. Jedes Jahr gab es neue Rassen und somit auch neue Charaktere.
Natürlich gefielen Tina grundsätzlich alle. Sie liebte allerdings spezielle Farbzeichnungen oder Muster. Nicht erstaunlich, dass ihr die Bengal-Katze aufgefallen war. Diese relativ neue Rasse sah aus wie ein Mini-Leopard mit sehr kurzem mittelbraunem Fell. Die Haarpracht hatte einen seidigen Glanz, der nicht von Haarspray oder besonderer Pflege stammte. Die Bengalin ist bekannt dafür, ein samtweiches und hochglänzendes Fell zu haben. Ihr ganzer Körper ist mit grossen runden Punkten versehen. Je nach Farbmuster sind die Punkte dunkelbraun ausgefüllt oder wie ein Kreis mit hellem Zentrum. Bengalen mit gestromter Musterung, das heisst linienförmig gezeichnet, waren wenige hier an der Ausstellung. Sie sind nicht ganz so beliebt wie die gepunkteten, gehören aber auch zum Rassestandard. Dann entdeckte sie eine Snow-Bengalin. Ihre Punkte waren dunkelgrau auf hellgrauem Untergrund, etwas Seltenes. Diese Zuchttiere waren unglaublich teuer, denn die meisten von ihnen stammten aus Amerika. Bereits der Kauf und das Ueberführen nach Europa sind für den Züchter mit viel Geld und Aufwand verbunden. Zudem ist es immer so, dass neue Rassen zu Beginn sehr hoch im Kurs stehen.
Was die meisten Leute nicht wissen und was Tina ein paar Monate später erfahren sollte, dass Bengalen vom Charakter her sehr schwierig sind. Wer einen Bengalen beherbergt weiss genau, weshalb man sie „Mini-Leoparden“ nennt. Es ist nicht nur die Fellzeichnung, die einem an den wilden Leoparden erinnert. Die Rasse der Bengalen ist durch die Kreuzung mit Wildkatzen entstanden. Und diese wilden Züge sind den relativ kleinen Bengalen geblieben. Unglaublich, wie hoch sie springen können und wie viel Elan sie haben. Sie sind ständig in Bewegung und sprechen unentwegt mit dem Menschen. Sie können eine so laute Stimme entwickeln, die das Brüllen des Leoparden noch übertreffen würde. Hier sah Tina zum ersten Mal diese edlen Tiere und wünschte sich, dass sie irgendwann eine Bengalin in ihr Team aufnehmen durfte.


In einer Pause spazierte Tina nochmals an den Käfigen entlang. Sie überlegte sich, welches Tier ihr nebst der Bengalin am besten gefiel und welches bei ihr einziehen dürfte, wenn sie sich eines aussuchen könnte. Dann entdeckte sie ihn. Ein junger grauer Britisch-Kurzhaar-Kater sass mit einer anderen Katze in einem ungeschmückten Käfig und langweilte sich. Er lag in seinem Körbchen und schien traurig zu sein. Die Passanten interessierten ihn nicht. Manchmal hob er kurz den Kopf und schielte zur anderen Katze, die in seinem Käfig sass. Er war nicht zur Bewertung hier, lag in einem ungeschmückten kahlen Käfig. Vor ein paar Tagen war seine Welt ins Wanken gekommen. Alles hatte sich verändert. Niemand hatte mehr Zeit für ihn, doch er wusste nicht, was denn wirklich passiert war. Fremde Leute waren in sein Zuhause gekommen. Alles war hektisch und ungewohnt. Sein Ziehvater weinte und war total überfordert mit der angeblich neuen Situation. Es war etwas passiert, das spürte er, und er wusste, dass sein Leben nun in neuen Bahnen laufen würde.

Tina schaute den Grauen an, der sich gelangweilt der Länge nach ausgestreckt hatte. Dann hob er den Kopf und sah Tina direkt in die Augen. Es war Liebe auf den ersten Blick. Sie schauten sich an und wussten, sie waren für einander bestimmt. Tina erkundigte sich nach dem Besitzer, der allerdings nicht anwesend war. Man vertröstete sie auf den Nachmittag. Dann sei er wieder zurück.
Leider hatte Tina nicht so viel Zeit. Sie musste nach Hause. Sie informierte ihre Kollegin, dass sie abklären sollte, ob dieser Kater noch zu haben sei und was er kosten würde. Natascha schüttelte nur den Kopf. „Wieso ein grauer Britisch Kurzhaar-Kater?“ Ihr gefiel diese Rasse überhaupt nicht. Sie bevorzugte zierliche Langhaarkatzen. Briten entsprachen nicht ihrer Vorstellungen. Diese Rasse ist wuchtig und gross. Trotzdem wollte sie Tina diesen Gefallen tun.

Manolo fiel zwischen den weissen Langhaarkatzen natürlich auf. Mit seinem dicken Schädel und seinem pummeligen Körper war er das pure Gegenteil von den zierlichen Langhaarkatzen. Doch es gefiel ihm bei Natascha. Er hatte seine ersten Lebensmonate in der Gruppe gelebt und hatte somit keine Berührungsängste. Die Birmadamen mochten ihn auch. Er war zwar vollkommen anders, aber ein extrem lieber Kerl. Auch sie lebten immer in der Gruppe und nahmen ihn in ihrer Gesellschaft auf. Sie spielten zusammen und teilten sich die Schlafmulden und Futternäpfe. Es gab dort auch zwei Jungtiere, etwa im gleichen Alter wie Manolo. Mit ihnen verstand er sich besonders gut. Man könnte schon sagen, er liebte sie auf seine Art.

Natürlich wurde Aramis versorgt wie alle anderen Tiere. Er bekam Futter, Leckereien und ein sauberes Katzenklo. Doch er war ein Einsiedler. Wenn Tina mit den anderen Katzen vor dem Fernseher sass oder Musik hörte, blieb Aramis allein. Er war schon immer ein sehr ängstliches Tier gewesen und hatte kaum Vertrauen zum Menschen gewonnen. Und das einsame Leben im Liebeszimmer verstärkte seine Abneigung dem Menschen gegenüber noch mehr.


Eines Tages fasste sie Mut und liess ihn raus. Sie öffnete die Türe und gewährte ihm Freigang in den Garten. Aramis konnte sein Glück kaum fassen, eben noch eingesperrt, jetzt frei. Als er seine Pfoten das erste Mal in seinem Leben ins Gras streckte und den Wind in seinem Pelz spürte, schien alles perfekt.
Die ersten Schritte in der Freiheit waren sehr zaghaft und ängstlich. Bis jetzt hatte er den Garten nur von oben gesehen, nun durfte er durch das Gras schlendern und den feuchten Boden geniessen. Es gab so viel zu entdecken, denn das Grundstück war riesengross. Jedes Blatt, das der Wind durch den Garten blies, machte ihm Angst. Er duckte sich, wenn Bienen surrend über seinen Kopf flogen. Vögel kreisten hoch oben am Himmel und gaben fremde Laute von sich. Auch hatte er noch nie Ameisen gesehen, die es in Tinas Garten überall gab. Schmetterlinge flatterten von einer Blüte zur nächsten, Bienen surrten in den Tannenästen. Es war für ihn eine total verrückte Welt voller neuer Eindrücke. Es gab so viel zu beobachten und zu entdecken. Er öffnete sein Maul und zog all die neuen Düfte in sich auf. Jede Pflanze, die er auf seinem Rundgang entdeckte, wurde von oben bis unten beschnuppert. Zu Beginn gab er ein komisches Bild ab. Sein Gang war eher ein Kriechen als ein Gehen. Es war schon bedenklich, dieses schöne Tier so zu sehen. Er hatte viele Monate seines Lebens in einem Gefängnis gelebt, obwohl er nichts verbrochen hatte. Das hatte er nicht verdient. Der Mensch hatte ihn eigentlich ausgenutzt. Doch Aramis war niemandem böse, nur ängstlich. Tina hoffte sehr, dass seine Angst endlich wich, wenn er seine Freiheit hatte.
Und tatsächlich änderte sich sein Verhalten allmählich. Er wurde viel zutraulicher. Er verstand sich mit den anderen Tieren relativ schnell. Sie kannten ihn zwar überhaupt nicht, da er bisher ja in „Einzelhaft“ gelebt hatte. Doch sie waren offen für neue Bekanntschaften. Natürlich war es nie so gewesen, dass er wirklich allein war. Wenn keine liebesbereite Dame bei ihm hauste, bekam er andere pelzige Gesellschaft in sein Liebesnest. Die Gesellschafterinnen wurden regelmässig ausgewechselt, denn sie durften normalerweise ja raus. Die Freiheit, die die andern Katzen hatten, war ihm bis zu diesem Tag verwehrt gewesen. Er sah die anderen Katzen manchmal, wenn Tina ihm Futter in sein Zimmer brachte. Trotzdem war es ein grosser Unterschied, ob man die anderen Katzen vorbeihuschen sah, oder nun mit ihnen durch den Garten spazieren konnte.

Kurz vor Weihnachten brachte Tina zwei Tragkörbe mit. In einem sass Manolo, im anderen eine Birmakätzin für Aramis. Es war eine der jungen Damen, mit denen Manolo gespielt hatte. Manolo fand es im neuen Zuhause genauso super wie bei Natascha. Auch hier lebten viele Katzen, mit denen er spielen konnte. Das Haus war gross und der Garten musste erst entdeckt werden. Tina freute sich, dass sie Manolo nun endlich bei sich hatte. Er war ein zauberhafter Kater im Flegelalter. Nicht alle ihrer Tiere wollten mit ihm spielen. Er war noch jung und hatte viel Unfug im Kopf.
Für Aramis hiess es nun wieder, eine Woche ins Chambre Séparé zu verschwinden. Die Katzendame war für ihn bestimmt. Sie war rollig, was nicht zu überhören war. Sie miaute ununterbrochen und schrie nach Aramis. Wenn dieser eingesperrt war, bewachte er sein Zimmer. Kein anderer potenter Kater durfte da rein. Sollte er einen Versuch wagen, vertrieb ihn Aramis. Grundsätzlich war das auch Tina recht, denn sie musste gut aufpassen, dass die Kätzin auch wirklich nur Nachwuchs von Aramis bekam. Dies war ja der Sinn der Sache. Die Katzen sollten ja reinrassig sein. Nach einer Woche, als Aramis seine Arbeit getan hatte, ging die Birmadame wieder nach Hause. Nun hiess es abwarten, ob sie Babies bekam oder nicht. Aramis war ein Kater, der viel Erfolg bei den Frauen hatte. Er hatte schon viele Nachkommen gezeugt.



„Kein potenter Kater bei dir“, lachte Tina. „Hast Manolo bereits vergessen?“ Oje, an Manolo hatte sie überhaupt nicht gedacht. Er war ja noch ein halbes Baby, als er zwei Wochen bei ihr gewohnt hatte. Es war doch unmöglich, dass… Aber doch, es war möglich! Nur wenige Wochen später wurde Manolo Vater. Er, selber noch fast ein Kind, bekam die schönsten Katzenkinder dieser Welt. Die Mutter – welch Schande – war rassemässig fremd gegangen. Das Resultat waren wunderschöne Kätzchen. Die Natur war stärker.